30. März 2017

Den Boden bereiten für mehr gemeinschaftliche Wohnprojekte in Wiesbaden

Rede des Stadtverordneten Karl Braun zu TOP I/10 „Den Boden bereiten für mehr gemeinschaftliche Wohnprojekte in Wiesbaden“, gemeinsamer Antrag der Fraktionen SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen in der Stadtverordnetenversammlung am 30. März 2017

Es gilt das gesprochene Wort

Anrede,

„Den Boden bereiten für mehr gemeinschaftliche Wohnprojekte in Wiesbaden“ so haben wir unseren gemeinsamen Antrag bezeichnet und dies wollen wir auch erreichen.

Jahrelang gab es nur ganz wenige umgesetzte gemeinschaftliche Wohnprojekte in Wiesbaden. Die meisten werden sicherlich nur das Wohnprojekt in der Blücherstraße kennen, das in diesem Zusammenhang immer wieder als Vorzeigeprojekt genannt wird.

Wer aber mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Runden Tischs für Wohninitiativen Kontakt hatte oder hat, der weiß wie viele interessierte Bürgerinnen und Bürger, insbesondere aus dem 3. Lebensabschnitt, sich dort treffen und mit viel Interesse, Engagement und Herzblut die Projekte verfolgen.

Die Homepage der Koordinierungsstelle für Wohninitiativen und Baugemeinschaften bei der SEG weist derzeit 9 Initiativen aus, welche in unterschiedlichen Lebensformen miteinander statt nebeneinander leben möchten.

Aktuell in der Umsetzung befindet sich in Wiesbaden vor allem das Projekt von Horizonte e.V., bei dem insgesamt 14-16 Menschen gemeinschaftlich in einem Mietshaus die 3. Lebensphase gestalten möchten.

Die Gruppe steht seit geraumer Zeit in Verbindung mit der GWW und möchte nächstes Jahr als deren Mieter im Weidenborn einziehen.

Um was geht es eigentlich bei gemeinschaftlichen Wohnprojekten?

Und warum erachten wir derlei Wohnprojekte als zukunftsweisend?

Wenige Worte reichen, um den Kern gemeinschaftlicher Wohnprojekte zu umschreiben, nämlich: Gemeinsam statt Einsam.

Der demographische Wandel, verbunden mit dem Umbruch traditioneller und familiärer Bindungen, geht einher mit fehlenden sozialen Kontakten und zunehmender Vereinsamung, insbesondere im Alter.

Gemeinschaftliche Wohnprojekte greifen dies auf. Sowohl gemeinschaftliche Aktivitäten als auch gegenseitige Hilfe und Unterstützung der Mitbewohnerinnen und Mitbewohner untereinander sind für sie von zentraler Bedeutung.

Insbesondere wenn im höheren Alter die Selbständigkeit verloren geht, und aus der eigenen Familie niemand da ist, der sich um die täglichen Bedarfe kümmern kann, bietet die neue Hausgemeinschaft eine wesentliche Unterstützung für ein weitestgehend selbstbestimmtes Wohnen und Leben in vertrauter Umgebung.

Nicht entwurzelt zu werden, so lange wie möglich im eigenen Wohnumfeld zu bleiben, ist gerade im Alter ein sehr bedeutsamer Gewinn an Lebensqualität.

So entdecken zwar viele erst spät das Interesse an gemeinschaftlichen Wohnprojekten, dies bedeutet aber nicht, dass gemeinschaftliche Wohnprojekte in der Regel auch reine Altenwohngemeinschaften sind.

Vielmehr wird immer häufiger bereits auch schon in jüngeren Jahren erkannt, dass gemeinschaftliche Wohnprojekte noch viel mehr zu bieten haben.

So können beispielsweise in Mehrgenerationenhäusern die schwindenden Bindungen der Großfamilie durch neue Beziehungen und die gegenseitige Unterstützung zwischen Jung und Alt kompensiert werden.

Gegenseitige Unterstützung bedeutet hier beispielsweise, dass ältere Bewohner, die bereits im Ruhestand sind, Kinder jüngerer Bewohner hüten und diese im Gegenzug z.B. für die Älteren einkaufen. Neben der altersmäßigen Durchmischung leben in Mehrgenerationenwohnprojekten häufig auch verschiedene Haushaltstypen unter einem Dach – es gibt Familien mit Kindern, Single- und Paarhaushalte.

Bei all diesen möglichen Wohnformen steht immer die Gemeinschaftlichkeit der Bewohnerinnen und Bewohner im Mittelpunkt. Es werden soziale Netze aufgebaut, Geborgenheit geschaffen, aber auch Verantwortung übertragen.

Und, vergessen dürfen wir bei der Förderung solcher Wohnprojekte nicht, dass im Gegenzug durch dieses „sich um andere kümmern“ auf der anderen Seite auch staatliche Leistungen und Hilfen, sprich Sozialausgaben, eingespart werden.

Weiterhin ist zu beachten, dass neben den internen sozial-integrativen Aspekten, der gegenseitigen Hilfe und Verantwortung, gemeinschaftliche Wohnprojekte sich in der Regel auch über ihre Hausgemeinschaft hinaus um ihr weiteres Wohnumfeld kümmern, bürgerschaftliches Engagement aktivieren und so einen erheblichen Beitrag für die Aufwertung des Quartiers oder Stadtviertels leisten.

Die organisatorische Umsetzung solcher Wohnprojekte kann sehr unterschiedliche Ausprägungen annehmen. Eine mögliche Variante ist, dass die Gruppe als Mieter in ein vorhandenes oder noch zu errichtendes Haus einzieht. Die Gruppe ist dann allerdings an die Vorgaben und vor allem Mietpreisvorstellungen des Eigentümers gebunden, der in der Regel mit der Vermietung Rendite erzielen möchte.

Eine wesentlich bessere Organisationsform ist deshalb die Eigentümer- bzw. Baugemeinschaft, bei der sich meist Einzelne für ein gemeinsames Planungs-, Bau- und Wohnvorhaben als Gruppe zusammenschließen. Der Vorteil liegt darin, dass verhältnismäßig günstig selbstgenutztes Wohneigentum geschaffen werden kann und dabei gleichzeitig auch die Möglichkeit zur Planungsbeteiligung und zu Gestaltungsspielräumen besteht.

Ähnliches gilt für genossenschaftlich organisierte Baugemeinschaften. Hier zahlen die Mitglieder ein Nutzungsentgelt an die Genossenschaft, sind aber gleichzeitig Mit-Eigentümer des Objektes. Bei diesen Projekten steht schon per Gesetz die Versorgung der Mitglieder mit Wohnraum und nicht die Erwirtschaftung von Gewinnen im Vordergrund, was preissenkend wirkt.

Man könnte nun fragen: Wenn doch gemeinschaftliche Wohnprojekte derlei Vorteile bieten, und auch immer stärker nachgefragt werden, warum sind sie dann in Wiesbaden noch so selten anzutreffen? Dies liegt unseres Erachtens vor allem an dem schwindelerregenden Preisgefüge des Immobilienmarktes in Wiesbaden und der relativen Trägheit gemeinschaftlicher Wohnprojekte.

Und so kommen wir auch zu unserem Antrag:

Durch eine Vergabe von Baugrundstücken zu einem marktüblichen Festpreis unter Berücksichtigung des besten Konzeptes anstelle eines möglichen Höchstpreises, also durch das sogenannte Konzeptvergabeverfahren, und der Berücksichtigung eines angemessenen Anhandgabezeitraums möchten wir dem Abhilfe leisten und die Realisierung von gemeinschaftlichen Wohnprojekten in Wiesbaden substanziell vorantreiben.

Die Vergabe der Flächen muss dabei transparent und nachvollziehbar sein.

Damit dies der Fall ist, möchten wir, dass ein rechtssicheres Vergabekonzept entwickelt wird, bei dem verschiedene Aspekte berücksichtigt werden.

Neben den dargestellten internen sozial-integrativen Aspekten und deren Dauerhaftigkeit sollten bei der Vergabe weitere soziale Aspekte Berücksichtigung finden, wie beispielsweise
die Einbeziehung von sozial Benachteiligten, die Schaffung von sozial gebundenem Wohnraum, eine bewusste soziale Durchmischung des Quartiers oder ein Mehrwert für das Wohnumfeld z.B. durch Unterstützungsangebote, die über die eigene Gemeinschaft hinausgehen.

Weitere Aspekte, die Berücksichtigung finden sollten, sind städtebauliche Aspekte, wie beispielsweise eine gelungene Quartiersentwicklung oder ein zukunftsweisendes Mobilitätskonzept, aber auch bauliche Aspekte, also insbesondere architektonische Kriterien sowie ökologische sowie energetische Standards.

Wichtig für die Realisierung ist selbstverständlich auch, dass hinter den gemeinschaftlichen Wohnprojekten ein wirtschaftlich tragfähiges Finanzierungskonzept steht und die Gemeinschaft stabil, kompetent und belastbar ist.

Damit es nun auch wirklich schnellstmöglich in Wiesbaden vorangeht, möchten wir der „Koordinierungsstelle für Wohninitiativen und Baugemeinschaften“ bei der SEG für die Entwicklung des umrissenen Konzeptvergabeverfahrens 30.000 € bereitstellen.

Weiterhin möchten wir, dass in Baugebieten, welche vollständig oder zu großen Teilen im Eigentum der Stadt oder einer ihrer Wohnbaugesellschaften stehen, z.B. das „Carl-von-Ossietzky-Gelände“, „Kastel Housing“, oder „Kastel AFEES“, einzelne Grundstücksflächen für Pilotprojekte zurückgehalten werden, um zügig erste Erfahrungen zu erzielen.

Abschließend möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass andere Städte, insbesondere Hamburg, Köln, Tübingen und München, bereits Konzeptvergabeverfahren für gemeinschaftliche Wohnprojekte durchgeführt haben und damit wirklich sehr erfolgreich waren.

Wir in Wiesbaden sollten aus deren Erfahrungen lernen und daran anknüpfen.

Lassen Sie uns gemeinsam den Entschluss fassen, gemeinschaftliche Wohnprojekte in Wiesbaden voranzutreiben.

Die Vorteile nicht nur für die Wohnprojekte, sondern auch für die Stadt Wiesbaden liegen auf der Hand.

Vielen Dank.