Rede der Stadtverordneten Konstanze Küpper von Bündnis 90/Die Grünen
zu TO 1 TOP 7 „Klimaneutrales Wiesbaden“ in der Stadtverordnetenversammlung
am 17. Mai 2023
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
2,3 Grad. So stark hat unsere Lebensweise Deutschland bereits heute gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter aufgeheizt. Und wir machen fast ungebremst damit weiter – mit katastrophalen Folgen für uns alle. Und wem Dürre, Waldbrände, Ernteausfälle, Trinkwasserknappheit, Artensterben noch weit weg scheinen:
Seit 2000 belaufen sich die Schäden der Extremwetterereignisse allein in Deutschland auf 145 Milliarden Euro[1] – Tendenz steigend. Wie oft werden wir uns eine Katastrophe wie im Ahrtal leisten können? Was werden wir tun, wenn sich Millionen Klimaflüchtlinge zu uns auf den Weg machen?
Wir zerstören unsere Lebensgrundlagen, wenn wir nicht innerhalb der nächsten 10 Jahre unseren CO2 Ausstoß drastisch reduzieren. Leider tun wir uns sehr schwer zu akzeptieren, dass damit auch eine Änderung unserer Art zu leben und zu wirtschaften verbunden ist. Ein Beispiel ist die aktuelle Debatte zum schrittweisen Ersatz alter Öl- und Gasheizungen bis zum Jahr 2045, wie sie die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes vorsieht. Wenn die alte fossile Heizung kaputt ist und nicht mehr repariert werden kann, sollte es doch möglich sein, ganz nüchtern und sachlich über eine klimafreundliche Alternative auf Basis erneuerbarer Energien nachzudenken. Stattdessen wird gerade eine völlig irrationale Panik geschürt. Diejenigen, die aktuell versuchen, daraus politisches Kapital zu schlagen, sind mit dafür verantwortlich, wenn verunsicherte Hausbesitzer*innen jetzt noch schnell neue Öl- oder Gasheizungen anschaffen, obwohl dies angesichts der steigenden CO2-Bepreisung auch finanziell unsinnig ist – fossiles Heizen ist nicht billig, sondern wird in Zukunft nahezu unbezahlbar! Angesichts der Bedrohung durch die Klimakrise sind solche Kampagnen geradezu absurd!
Doch zurück auf die kommunale Ebene. Was also ist hier in Wiesbaden zu tun?
Ich bin überzeugt: Wir brauchen eine kollektive Anstrengung quer durch die Stadtgesellschaft, um Geschwindigkeit und Folgen der Klimakrise abzumildern. Wir müssen viel schneller und viel konsequenter in unseren Beschlüssen und in unserem Handeln werden. Und dazu wird der Antrag der Kooperation beitragen, für den ich Sie alle hier um Unterstützung bitte.
Zu unseren Klimazielen:
Seit dem Beschluss zum Klimanotstand 2019 haben wir weder die bisherigen Treibhausgas-Reduktionsziele erreicht, noch das vorhandene Einsparpotential realisiert. Nach wie vor liegt der CO2 Ausstoß pro Kopf in Wiesbaden bei 10 Tonnen pro Jahr. Wir wollen nun bis 2030 um zwei Drittel runter und streben bis 2035 Netto-Null an.
Ich gebe gern Kritikern recht: Ambitionierte Ziele allein reichen nicht. Aber ohne diese Ziele werden wir weder schnell noch konsequent genug handeln.
Dies gilt ganz besonders für die größte Herausforderung, vor der Wiesbaden steht: Der Wärmewende, also die Umstellung der Wärmeproduktion für unsere Wohnungen, aber auch für Handel und Industrie, auf Erneuerbare nicht-fossile Energiequellen im Verbund mit einer drastischen Verringerung des Energiebedarfs. Bei vielen eigenen Bauvorhaben im Stadtverbund waren wir in den letzten Jahren nicht konsequent genug – siehe als jüngstes Beispiel das Bürgerhaus Kastel-Kostheim. Das schon jetzt gesetzlich vorgegebene Einsparpotential an Wärme in unseren eigenen Liegenschaften liegt bei 45 %. Diesen Schatz zu heben und dabei nicht nur das gesetzlich vorgeschriebene Minimum zu erfüllen, sollte unser Anspruch sein. Für die städtischen Funktionsgebäude sind deshalb Leitplanken für nachhaltiges Bauen in Vorbereitung. Dies ist ein guter Schritt, aber es müssen noch viele weitere folgen.
Die weiteren Punkte des Handlungsprogramms Klimaneutralität verstärken noch einmal unsere – hoffentlich gemeinsame – Entschlossenheit:
Bis Ende dieses Jahres erhalten wir ein aktualisiertes Klimaschutzkonzept mit verbindlichem Maßnahmenplan. Ich wage mal einen Blick in die Glaskugel: Der Ausbau der Photovoltaik, des Stromnetzes und der Fernwärme, der Bau einer Biomüllvergärung und die Nutzung der Geothermie sowie Abwärme werden ganz oben auf der Liste der Maßnahmen stehen und sich auf die ganze Stadt auswirken. Aber auch Stadtplanung, E-Mobilität und eine an die Klimakrise angepasste Bodennutzung und die Pflege unseres Waldes sind wichtige Hebel.
Ergänzen möchte ich diesen guten Vorschlag des Klimaschutzbeirates: Er schlägt die Einrichtung eines Kompetenzzentrums Klimaschutz vor, das als sichtbare Anlaufstelle für die BürgerInnen dienen soll und die Kompetenzen von Klimaschutzagentur und ESWE Versorgung bündelt.
Im Stadtverbund selbst werden alle relevanten Akteure wie z.B. das Schulamt, mattiaqua, oder auch ELW und ESWE Versorgung über eigene Treibhausgas – Reduktionspfade in Verantwortung genommen. Wir brauchen zudem Daten und regelmäßiges Monitoring, um bei Bedarf rasch nachsteuern zu können. Und wir müssen natürlich dafür auch die personellen und finanziellen Ressourcen bereitstellen. Dabei legen wir Wert auf hohe Effizient, damit bei jedem eingesetzten Euro aus dem Stadtsäckel möglichst viel Klimaschutz raus kommt.
Und jetzt zu uns: Wir hier im Stadtparlament sind genauso Teil des Problems wie auch der Lösung. Wir werden fast alle die Folgen der Klimakrise noch hautnah erleben. Gleichzeitig sind unsere Beschlüsse für den Klimaschutz enorm wichtig – die Haushaltsberatungen im Herbst lassen grüßen. Deswegen schlagen wir ähnlich wie das Land mit dem „Klima-Check“ für unsere Sitzungsvorlagen die „Klima-Ampel“ vor: Wie sehr z.B. Sanierung oder Neubau eines Gebäudes zur Verschärfung der Klimakrise beiträgt und welche finanziellen Schäden wir damit auslösen oder uns doch für eine klima-schonendere Lösung entscheiden, werden wir mit der Klima-Ampel besser bewerten und dann entscheiden können.
Diese Berechnung ist kein Hexenwerk, und wir brauchen das nicht für jedes kleine Vorhaben ohne nennenswerte Klimawirkung. Aber es braucht den Willen und das KnowHow. Damit komme ich zu einem Aspekt, der hier im Antrag nicht ausdrücklich erwähnt wird:
Als Querschnittsthema ist Klimaschutz nicht in einem einzelnen Dezernat oder Amt, sondern quer und längst im gesamten Stadtverbund zu verankern, z.B. dann auch im Beteiligungscodex. Das Klimaschutzmanagement, d.h. der Kreislauf von Zielen, darauf abgestimmten Maßnahmen, Kontrolle und Nachsteuerung, ist tief in den Strukturen zu verankern, Prozesse sind entsprechend zu ordnen. Darüber sind wir uns in der Kooperation auch einig und legen diese Aufgabe in die Hände unseres OB.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Aufgabe, die vor uns liegt, ist kein Marathon und auch kein Sprint, sondern eher ein 800 Meter Lauf. Wir haben weder lange Zeit, noch reicht eine einmalige, kurze Kraftanstrengung. Wir schaffen es nur gemeinsam, mit den richtigen Beschlüssen heute und in der Zukunft, mit dem Rückenwind von Bund und Land, der finanziellen Unterstützung aus diversen Fördertöpfen und den richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen.
2,3 Grad und wir sind noch auf dem Weg gegen die Wand. Lassen Sie uns heute endlich damit aufhören.
Ich danke Ihnen für Ihre Unterstützung.
[1] https://www.bmuv.de/pressemitteilung/hitze-duerre-starkregen-ueber-80-milliarden-euro-schaeden-durch-extremwetter-in-deutschland